Mein Freund, der "King": Elvis lebt - in Friedberg
von Claus Kurt Ilge
© Claus Kurt Ilge
Es war wie sechs Richtige im Lotto.
Im Herbst 1958 war ich 16 Jahre alt und wohnte bei meinen Eltern in Friedberg. Als Realschüler musste ich noch nicht in die Lehre, also hatte ich viel Zeit. Als meine Freunde und ich ins Teenageralter kamen, wollten wir nicht mehr die Musik unserer Eltern hören: Rudi Schuricke, Fred Bertelmann, Paul Kuhn und wer da so alles war. Stattdessen suchten wir was Moderneres. Das Moderne war das Fremdländische, das war der amerikanische Radiosender AFN, den wir in Hessen überall empfangen konnten. Um Englisch zu lernen, hörten wir immer AFN. Allerdings hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch kein eigenes Radio, und unsere Eltern wollten wir damit nicht behelligen, weil sie die Amerikaner als Besatzer ansahen. Meine Oma sagte immer: "die Feinde, die Feinde." Mein Vater, der im Krieg gewesen war, fühlte sich als Besiegter.
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Er versorgte Elvis mit Elvis-News aus deutschen Zeitungen, durfte mit dem Star Mercedes fahren und erhielt ein ganz besonderes Abschiedsgeschenk: Claus-Kurt Ilge war der "Boy from Friedberg". Mit einer Pocket-Kamera hielt er die Szenen einer ganz und gar unwahrscheinlichen Freundschaft fest.
Aber wir Jugendlichen wuchsen mit den Amerikanern auf. Die hatten ihre Familien hier, für uns waren das keine Ausländer, sondern ganz normale Nachbarn. Die hatten immer so tolle Sachen, zum Beispiel Kugelschreiber, die es damals in Deutschland noch nicht gab. Die Amerikaner besaßen schon Füllfederhalter, da haben wir noch mit Füllern geschrieben, die aus dem Tintenfässchen aufgezogen werden mussten. Auch das Waschpulver: Wir hatten immer noch dieses Persil ohne Geruch, aber wenn man an den amerikanischen Wohnsiedlungen vorbeiging, kam aus den Kellerfenstern ein ganz anderer Duft, richtig frisch, Menthol! Das alles fanden wir ganz toll. Die Amerikaner waren großzügig und schenkten uns immer wieder Dinge - und wir fühlten uns zu ihnen hingezogen.
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Aber wir Jugendlichen wuchsen mit den Amerikanern auf. Die hatten ihre Familien hier, für uns waren das keine Ausländer, sondern ganz normale Nachbarn. Die hatten immer so tolle Sachen, zum Beispiel Kugelschreiber, die es damals in Deutschland noch nicht gab. Die Amerikaner besaßen schon Füllfederhalter, da haben wir noch mit Füllern geschrieben, die aus dem Tintenfässchen aufgezogen werden mussten. Auch das Waschpulver: Wir hatten immer noch dieses Persil ohne Geruch, aber wenn man an den amerikanischen Wohnsiedlungen vorbeiging, kam aus den Kellerfenstern ein ganz anderer Duft, richtig frisch, Menthol! Das alles fanden wir ganz toll. Die Amerikaner waren großzügig und schenkten uns immer wieder Dinge - und wir fühlten uns zu ihnen hingezogen.
Vielen Dank an Claus Kurt Ilge und Ralf Oehler für die Genehmigung den Bericht zu übernehmen und hier zu erzählen.
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Und dann dieser Tag.
Es war der 22. oder 23. September 1958, genau weiß ich es nicht mehr, da stand in der "Wetterauer Zeitung" auf der ersten Seite zwischen den Weltnachrichten: "Elvis Presley kommt nach Friedberg." Das war wie sechs Richtige im Lotto! Ab diesem Moment bereitete ich mich auf Elvis' Ankunft vor, es war ja noch eine Woche Zeit. Er ging in Bremerhaven an Land und wurde dann mit den anderen GIs im Armeesonderzug nach Hessen gebracht. Die kamen alle von Fort Hood in Texas, wo sie gemeinsam die Grundausbildung gemacht hatten. Hier wurden sie dann auf die Kasernen in Kirch-Göns, Butzbach und Friedberg verteilt - und Elvis wurde tatsächlich den Ray Barracks in Friedberg zugeteilt
Wache halten vor dem Elvis-Haus
Aus Illustrierten wie "Film-Revue", "Star-Revue" oder "Quick" wusste ich, wie Elvis aussah. Auch im SPIEGEL Nummer 50 vom 12. Dezember 1956 war Elvis auf dem Titelbild gewesen. Ich konnte mir den SPIEGEL damals nicht kaufen, der war zu teuer. Aber ich hatte ihn am Kiosk gesehen und ihn dort durchgeblättert.
Zunächst wohnte Elvis in einem Hotel, aber dann zog er in ein Haus in der Goethestraße 14 in unserer Nachbarstadt Bad Nauheim. Ab Februar 1959 ging ich fast täglich dorthin. Wir Jugendlichen wussten genau, wann Elvis vom Dienst kam. Wir waren fast über seinen kompletten Tagesablauf informiert. Tag und Nacht belagerten wir das Haus. Wir hatten einen richtigen "Club", mehrere Leute hielten abwechselnd Wache und hielten sich gegenseitig auf dem Laufenden: "Jetzt ist er weggefahren" oder "gleich kommt er wieder." Meist fuhr er morgens um zehn vor sieben Uhr nach Friedberg, kam dann um halb zwölf, zwölf zurück, aß bei seiner Oma in der Goethestraße und fuhr um 13 Uhr wieder nach Friedberg. Um 17 Uhr kam er dann wieder von Friedberg zurück.
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Wir Teenager gingen währenddessen, am Nachmittag, ins Kino und sahen uns Elvis-Filme an: "Love me tender", "Loving you", "Jailhouse Rock" und "King Creole". In Großstädten wie Frankfurt oder Hamburg liefen diese Filme vielleicht schon vor Elvis' Ankunft in Deutschland, aber bei uns in der Provinz wurden sie erst gezeigt, als Elvis schon hier war. Es war ein ganz tolles Erlebnis, Elvis so übergroß auf der Leinwand zu sehen und eine halbe Stunde später zum Elvis-Haus in der Goethestraße zu gehen und ihn dort leibhaftig vor Augen zu haben. Da war einerseits dieser Rocker in "Jailhouse Rock" und andererseits dieser smarte, schmale Soldat. Elvis war damals ja noch eher zierlich, einen halben Kopf kleiner als ich. Wir konnten manchmal gar nicht so richtig nachvollziehen, dass das die gleiche Person war, die im Kino so gerockt hatte und der wir dann persönlich gegenüberstanden.
Mit Elvis im Mercedes
Für uns war es sehr kostbar, ein Foto von Elvis zu haben. Wir hatten so eine Plastikbox für fünf Mark, in die man einen Film einlegen und zwölf Bilder machen konnte. Die waren schnell weg. Man musste immer auf den richtigen Moment warten, weil man die Blende nicht einstellen konnte. Mal war das Wetter schlecht oder man kam nicht nah genug ran, so dass man dann gegen die Sonne fotografieren musste. Wir wogen jedes Foto sorgfältig ab, denn viel Geld hatten wir ja nicht. Ich bekam eine Mark Taschengeld in der Woche. Ging ich dann am Sonntag ins Kino, war die Mark schon weg, und noch mal bekam ich nichts, auch keinen Vorschuss für die nächste Woche. So wurden wir erzogen.
Natürlich sprachen wir Elvis immer wieder an, wir versuchten es irgendwie mit dem Englischen. Da gab es ein paar kleine Schwierigkeiten, denn wir sprachen ja nur Schulenglisch, nicht das amerikanische Englisch. Aber wir hatten uns von AFN diesen amerikanischen Slang abgehört und probierten das aus. Manchmal hatten wir Erfolg. Dann fragten wir Elvis nach seinen Filmen und was er so macht.
Und einmal, ja, einmal bin ich mit Elvis im Auto gefahren.
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(Quelle : Spiegel Online, Aufgezeichnet von Florian Harms)