Mein Freund, der "King": Elvis lebt - in Friedberg von Claus Kurt Ilge
...Und einmal, ja, einmal bin mit Elvis im Auto gefahren.
Das kam so: Eines frühen Morgens schlich ich mich von daheim weg und fuhr mit dem Fahrrad die drei Kilometer von Friedberg nach Bad Nauheim. Ich wusste ja, um zehn vor sieben kommt er raus, und da war ich dann so keck und fragte ihn: "Would you be so kind to take me to Friedberg?" ("Wärst du so nett, mich nach Friedberg mitzunehmen?") Da sagte er: "Okay, come in." ("Okay, steigt ein.") Ich saß neben Elvis in seinem Mercedes 300 und wir hörten AFN. Als wir in Friedberg um die Burg herum fuhren, kam auf einmal sein neuer Tophit "One Night" im Radio. Er machte das Radio leiser, wurde nachdenklich und fragte mich, ob ich noch Eltern hätte. Ich nehme an, dass er in diesem Moment an seine Mutter dachte, die am 14. August, sechs, sieben Wochen bevor er nach Deutschland kam, gestorben war. In Friedberg wollte ich dann aussteigen. Aber bis dahin war ich immer nur mit meinem Vater im VW gefahren, und die hatten damals noch richtige Türgriffe, noch nicht die Hakenöffner wie später in den sechziger Jahren. Ich saß also in Elvis' Mercedes und bekam die Autotür nicht auf. Und da beugte sich der "King" doch tatsächlich zu mir rüber und machte mir kleinem Fan die Tür auf!
Die Uniform war tabu
Elvis war zwar ein Idol, aber er war auch ein sehr höflicher, zuvorkommender junger Mann. Gerne hätte ich so einen Bruder gehabt. Mit ihm konnte ich mit identifizieren. Es war mit ihm anders als mit Bill Haley, der mit "Rock around the clock" den Durchbruch für die Rock 'n' Roll-Musik erkämpft hatte. Da ging es nur um die Melodie. Aber Elvis war als Person einfach einmalig, diese Ausstrahlung, das Charisma. Das war einfach toll. Und er hatte keine Starallüren, gab jedem Autogramme, war für seine Fans da, ließ sich mit jedem fotografieren. Und zwar so, wie die Fans das wollten.
Ich habe ihn eigentlich nur einmal böse erlebt. Er hatte immer eine topsaubere, gebügelte Uniform an. Darauf achtete er sehr, die durfte niemand anfassen. Einmal waren da aber so vorwitzige, freche Fans, die nahmen ihm die Uniformmütze vom Kopf. Da wurde er böse und ging ins Haus. Bis zum Abend blieb er drin. Das war an einem Mittwoch, und damals gab es jeden Mittwochabend auf Radio Luxemburg von neun bis Viertel nach neun die Sendung "It's Elvis Time". Ich hatte mein Radio dabei, und das stellten wir auf den Torpfosten. Die Kurgäste waren inzwischen wieder in ihren Sanatorien verschwunden, nur unser "Club" von etwa fünf Leuten war noch da. Plötzlich kam Elvis raus und sagte: "No autographs, no photos." Das akzeptierten wir, und er blieb bei uns. Wir hörten zusammen die Sendung an, und Elvis sang ein bisschen mit. Dazu machte er Faxen. Einfach toll!
"The boy from Friedberg"
Noch eine andere Begegnung mit Elvis ist mir bis heute sehr gegenwärtig. Damals trug ich Zeitungen aus, um mein Taschengeld aufzubessern. Wenn ich die Zeitungen bekam, suchte ich darin zuerst einmal nach Berichten über Elvis. Als wieder mal einer drin war, steckte ich sie in meine Aktentasche und radelte zur Kaserne. Als Elvis in seinem BMW 507 angefahren kam, hielt ich die Zeitung hoch - und er rollte auf den überhohen Bordstein und stoppte. Ich ging zu ihm hin, er blätterte die Zeitung durch, griff in die Tasche und sagte: "Here, 25 Cents." Er wollte die Zeitung bezahlen. Ich sagte: "No, it's a gift for you!" Er wollte aber nicht nur reingucken, er wollte sie mitnehmen und sagte, er würde sie mir am nächsten Tag zum gleichen Zeitpunkt wieder zurückgeben. Da sagte ich noch mal: "No, it's a gift!", und als er mir trotzdem Geld geben wollte: "Nee, nee, ist okay!" Da nahm er die Zeitung, bedankte sich und fuhr weiter. Ich radelte sofort nach Bad Nauheim und war 20 Minuten später an der Kaserne. Elvis war bereits dort. Er erkannte mich wieder, kam auf mich zu und sagte: "You are the boy from Friedberg!" ("Du bist der Junge aus Friedberg!") Von diesem Tag an war ich für ihn der "boy from Friedberg". Seitdem versorgte ich Elvis regelmäßig mit den neuesten Berichten aus der deutschen Presse.
Nach und nach hatte es sich herumgesprochen, dass Elvis bei uns um die Ecke wohnte. Bad Nauheim war ja eine Kurstadt mit einigen tausend Kurgästen, und als die rausbekamen, dass Elvis da war, erzählten sie es sofort in ihrem Bekanntenkreis. Als Folge war Elvis' Haus dann ziemlich umlagert, und er war ein bisschen genervt. Um ihn abzuschirmen, hängten seine Betreuer ein Schild raus: "Elvis, Autogrammstunde von 19 Uhr bis 19.30 Uhr." Also gaben alle Leute, die nicht wie wir fachkundig waren, ihre Postkarten und Fan-Fotos vor dem Haus ab - und dann unterschrieb drinnen irgendjemand mit dem Namen "Elvis", ein Betreuer oder Elvis' Vater! Die Leute waren zufrieden und zogen wieder ab. Wir Eingeweihten ließen sie in diesem Glauben. Deswegen gibt es heute so viele falsche Elvis-Autogramme. Aber ich habe immer den direkten Vergleich, denn neben einigen unechten habe ich genau 304 echte Autogramme. Man sieht den Unterschied ganz deutlich! Um den direkten Vergleich zu haben, ließ ich Elvis sogar einmal vor meinem Augen auf einem Foto unterschreiben, auf dem schon ein falsches Autogramm stand.
Elvis ging, sein Plattenspieler blieb
Nach 17 Monaten war Elvis' Zeit in Friedberg vorbei. Eine Spedition holte sein Klavier ab, und wir wussten, die Abreise steht bevor. Als er nach Deutschland gekommen war, hatte er einen Plattenspieler mitgebracht, der aber wegen der unterschiedlichen Stromspannung nicht lief. Deshalb kaufte er sich bei der Firma Breitenfelder in Friedberg, die heute leider nicht mehr existiert, einen Plattenspieler und ein Tonband. Es gibt sogar Bilder, auf denen man sieht, wie Elvis die Geräte bediente und Platten hörte. Da ich ja ein guter Fan war oder jedenfalls ein Fan, der immer da war, und Elvis wusste, dass es sinnlos war, die Apparate mit nach Amerika zu nehmen, kam er noch mal aus seinem Haus, guckte über die Meute von sieben oder acht Leuten, kam auf mich zu und fragte: "Do you have a record player?" ("Hast du einen Plattenspieler?"). Dass ich Platten hatte, wusste er, denn die hatte ich mir ja alle signieren lassen. Ich war aber immer darauf angewiesen, den Plattenspieler meiner Eltern zu benutzen. Also sagte er, ich solle mit ins Haus kommen - und dort stand ein Kofferplattenspieler, bereits fertig verpackt. Den könne ich haben, sagte Elvis.
Daneben stand auch das Tonbandgerät, das ich von Bildern aus Illustrierten kannte. Also fragte ich ihn: "What about the tape recorder?" ("Was ist mit dem Tonbandgerät?") Da seufzte Elvis und sagte: "Okay, take it." ("Okay, nimm ihn.") Da hatte ich also beides. Auf so ein Glück war ich gar nicht vorbereitet gewesen. Damit nichts runterfiel, ließ ich mein Fahrrad stehen und schleppte die beiden Geräte zu Fuß nach Friedberg. Ich habe sie noch heute.
Nachdem er 35 Jahre lang in einer Kiste auf meinem Dachboden stand, habe ich den Plattenspieler reparieren lassen, und heute läuft er wieder. Ebenso wie das Tonband, mit dem Elvis in Deutschland sogar vermutlich einige Songs aufnahm. Er hatte damals so etwas wie ein Heimstudio, in dem er mit Freunden Musik hörte und auch mal so was wie den Song "Danny Boy" probierte. Diese Song-Versuche nahm er dann sehr wahrscheinlich auf diesem Tonband auf. Leider waren diese Bänder aber nicht mehr dabei, als er mir das Gerät schenkte. Viel später sind diese Aufnahmen dann im Keller in Graceland in Memphis aufgetaucht und wurden veröffentlicht. Da war Elvis schon tot.
Sein Tod war ein ganz, ganz großer Schock für mich. Es war, als ob ein naher Angehöriger gestorben wäre. Ein Teil meiner Jugend war plötzlich weg, und ich trauerte wie um einen Familienangehörigen.
Bis heute bin mit ganzem Herzen Elvis-Fan, noch als Rentner. Wenn ich mal einen schlechten Tag habe oder missgelaunt bin, ziehe ich mich zurück und lege seine alten Platten auf. Dann sind alle schlechten Gedanken wie weggewischt. Elvis ist mein Heilmittel.
Demnächst mehr ....
(Quelle : Spiegel Online, Aufgezeichnet von Florian Harms)
Vielen Dank an Claus Kurt Ilge und Ralf Oehler für die Genehmigung den Bericht zu übernehmen und hier zu erzählen.